Offener Brief an den Schulleiter des Schönborngymnasiums in Bruchsal

Sehr geehrter Herr Oberstudiendirektor Leber,

ich schreibe Ihnen als Mutter einer der diesjährigen Abiturientin des Schönborngymnasiums (SBG). Ihre Rede auf dem Abiball und Ihr Verhalten rund um eine Institution, die sich traditionell Abistreich nennt, haben mich an den Punkt gebracht, Ihnen einen offenen Brief zu schreiben, der gleichzeitig an Sie und die Presse gehen wird.

Sie haben in Ihrer Rede am 1.7.2022 mehrfach auf Zumutungen hingewiesen. Dabei haben Sie sich in der Hauptsache auf die Einschränkungen durch die Pandemie bezogen. Seit dem 7.7.2022 ist allerdings deutlich, dass Ihr Verhalten den Abiturientinnen und Abiturienten gegenüber die eigentliche Zumutung darstellt. Damit meine ich die Überraschung, die der Abiturjahrgang erleben musste, als er am vergangenen Donnerstag voller Vorfreude und mit allerhand schöner Ideen um 16 Uhr auf dem Gelände des SBGs auftauchte, um die Vorbereitungen für den „Abistreich“ am Freitagvormittag zu treffen. Sie, Herr Leber, haben Vertreter des Jahrgangs zu Ihnen ins Büro zitiert. Sehr verwundert und fast schon verstört sind die zwei Entsandten zurückgekehrt. Quintessenz Ihrer Ansage: Der Abschlussjahrgang ist nicht mehr Teil der Schulgemeinschaft und damit dürfen die Abiturientinnen und Abiturienten das Schulgebäude nicht betreten. Somit schien der Abistreich als abgesprochene Veranstaltung nicht mehr möglich. Der Gruppe wurden strafrechtliche Konsequenzen angedroht, wenn sie dennoch den Abistreich durchführen würden.
Nun war es nicht so, dass Sie von diesem Abistreichvorbereitungen überrascht wurden. Die Schülerinnen und Schüler hatten diesen exakten Termin von Ihnen als einzig möglichen bei der schon länger zurückliegenden Absprache genannt bekommen. Die Schülerinnen und Schüler waren sich vollkommen bewusst in welchem Rahmen die Veranstaltung nur ablaufen konnte – sie wollten sich nicht, wie das Wort Streich vermuten lassen könnte, in irgendeiner Weise ungebührlich verhalten. Nein, Sie wollten der Schulgemeinschaft mit netten Aktionen fröhlich „Adieu“ sagen. (So ähnlich hat es der Abiturjahrgang einer privaten Schule in Bruchsal ungehindert und mit Freude machen können – siehe Wochenblatt-Reporter.de vom 7.7.22)
In bestimmten Umfang konnten Sie das dann dennoch. Dies ist allerdings nur der Unterstützung der aktuellen Kursstufe 1 verdanken (K1 Schülerinnen und Schüler sind als reguläre Glieder der Schulgemeinschaft im Gebäude mindestens geduldet) und auch der freundlichen Mithilfe vieler Lehrkräfte.

Da anscheinend die Müllabfuhr den Müll am Freitag aufgrund der Vorbereitungen nicht abholen konnte, schwebt eine von Ihnen, Herr Leber ausgesprochene Strafe (?), eine Gebühr (?) in Höhe von wohl 500 Euro über den Köpfen der Gruppe der Absolventen.

Sehr geehrter Herr Leber, was versprechen Sie sich mit diesem Verhalten? Soll das die von Ihnen mehrfach hervorgehobene Ambiguitätstoleranz fördern? Sollten Sie, als Schulleiter dieses traditionsreichen Gymnasiums, nicht als Vorbild im Sinne des aktuellen Bildungsplanes wirken? Dort schreibt der renommierte Bildungsforscher und Didaktiker Professor Dr. Hartmut von Hentig: ..In den Schulen werden die Menschheitserfahrungen …..für das „gute Leben“ weitergegeben – an den Schulen werden zugleich die Instrumente für eine noch unbestimmte Zukunft bereitgestellt. Es geht Ihnen immer um eine Balance zwischen Verantwortung und Unvoreingenommenheit, von Bewahrung und Bewährung.
So hatte ich die von Ihnen viel genannte Ambiguitätstoleranz verstanden. Darf und muss ein Schulleiter, der die Wichtigkeit des Abiturs als höchstmöglichen Bildungsabschluss betont, nicht auch Vertrauen in die Fähigkeit der Abiturienten und Abiturientinnen verantwortungsvoll zu handeln haben?

Ich selbst hatte das Glück vor 35 Jahren am Schönborngymnasium meinen Abschluss machen zu können. Noch immer ist mir das feine, amüsierte Lächeln des damaligen Schulleiters Herrn Dr. Schmich in Erinnerung als er das von uns angebrachte Schloss am Tor morgens aufsägen durfte und den von uns erschwerten Zugang zum Verwaltungstrakt mithilfe von Kollegen und Kolleginnen unter Beifall der versammelten Schulgemeinschaft bewältigte. Eine solche gelassene Haltung wie die des überzeugten Humanisten Herrn Dr. Schmich würde der gesamten Schulgemeinschaft auch heute guttun und würde den Schülerinnen und Schülern als positives Vorbild dienen.

Ich befürchte, dass der diesjährige Abiturjahrgang mitnichten so gern an Sie zurückdenken wird, wie wir an Dr. Schmich – das finde ich sehr schade. Mir bietet die Erinnerung an Dr. Schmichs Wirken und Auftreten nach wie vor Orientierung und Halt. Und bisher habe ich stolz erzählt SBGlerin zu sein. Das mache ich gerade nicht mehr. Sehr schade. Aber vielleicht können Sie den zukünftigen Jahrgängen mit einer gelasseneren und vertrauensvolleren Haltung dieses Rüstzeug, für die an Zumutungen reichen Welt, mitgeben. Das wünsche ich mir und Ihnen.

Hochachtungsvoll
Yvonne Lauer
Marienstr.17b
76689 Karlsdorf-Neuthard

Wir tragen den Inhalt des Offenen Briefes an Herrn OStD Leber mit:
Bianca Baron-Camara

Steffen und Bettina Hüster
Katrin und Ramon Frank
Anja Ross
Nicole und Carsten Scheerer
Christine und Jörg Riffel
Gerald Geißler
Peter Liede
Ute und Panagiotis Pasternak
Familie Kirchgeßner
Sabine und Bert Baschin
Ulrike Amann
Janett und Christian Volk
Kristin und Stefan Werner
Silke Weindel
Sabine und Paul Endes
Michaela Amann-Krämer und Volker Krämer
Heike und Ulli Radziej
Steffen Stecher