Am 26. Oktober 2014 ist die
UN-Behindertenrechtskonvention in Österreich sechs Jahre in Kraft. Am
Papier. Hehre Worte, aber ihr Geist, dass „behinderte Menschen nicht
aufgrund einer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem
ausgeschlossen werden“, weht hierzulande noch nicht. Denn der
Normalfall sollte sein, dass behinderte und nicht behinderte Kinder
gemeinsam lernen. Aber Österreich ist seiner völkerrechtlichen
Verpflichtung, ein inklusives, also einbeziehendes Bildungssystem auf
allen Ebenen zu schaffen, bis jetzt nicht nachgekommen.
Es gibt sogar bedenkliche Gegentrends zur Inklusionsforderung zu
beobachten: Immer mehr Kinder und Jugendliche – vor allem Buben und
Schüler mit Migrationshintergrund – werden in Sonderschulen gesteckt,
die der Konvention explizit widersprechen, oder bekommen das
stigmatisierende Etikett „sonderpädagogischer Förderbedarf“ verpasst,
oft mit fadenscheinigen Begründungen, die vor allem Defizite im
Schulsystem überdecken sollen. Jeder SPF-Schüler bringt nämlich Geld.
Den Preis für dieses „Sonder“-Stigma müssen diese Kinder ihr Leben
lang abzahlen.
Das ist beschämend, pädagogisch kontraproduktiv und asozial. Denn
die Sonderschulen sind ein bequemer Problemlöser für ein Schulsystem,
das Kinder, die „nicht passen“, die „anders“ sind, die Probleme
machen, abschieben kann.
Dabei sind die Ängste der Eltern jener Kinder, die in irgendeiner
Form nicht zum „Regelfall“ in der „Regelschule“ gehören, ernst zu
nehmen. Viele berichten von schlimmsten Mobbing-Attacken auf die
Schwächeren in der Klasse und sähen ihre Kinder lieber beschützt.
Aber ist das ein Argument gegen gemeinsames Lernen? Darf es das sein?
Den jungen Mobbern und ihren oft mithetzenden Eltern freie Bahn zu
lassen und potenzielle „Opfer“ sicherheitshalber in Bildungsreservate
zu setzen? Den Gehässigen die Konfrontation zu ersparen?
Nein. Die haben viel zu lernen. Und Bildung ist ein Menschenrecht,
für alle. Schule muss neben der intellektuellen Dimension auch ein
von Empathie bestimmtes Menschenbild vermitteln. Nicht asoziales
Sein, sondern soziales Miteinander lehren und lernen. Und da wird“s
happig: Inklusion geht nicht nur die Schule an, und es gibt sie schon
gar nicht zum Nulltarif. Sie setzt ein gesellschaftspolitisches
Bekenntnis voraus und braucht Geld, viel Personal und ein
pädagogisches Programm, sonst wird sie scheitern.
Inklusion geht nicht wie das Integrationskonzept von einem „Wir“
und den „Anderen“ aus, die es zu integrieren gilt, sondern sie betont
die Würde der Unterschiedlichkeit aller Menschen. Denn ob wir als
„behindert“ gelten, hängt von der definitionsmächtigen „Mehrheit“ ab,
die sich für „normal“ hält, und bestimmen kann, wer dazugehört und
wer abgesondert lernen muss. Dabei reicht ein schicksalhafter Moment,
ein unglücklicher Zufall, um plötzlich selbst in die Kategorie der
Anderen katapultiert zu werden, zu den „Behinderten“.
Die Sonderschule gehört abgeschafft. 26. Oktober ist
Nationalfeiertag, der Neutralität gewidmet. Inklusion ist nichts für
neutrales Sich-Raushalten. Es wäre ein schöner Anlass, wenn die
feiernde Nation ein Zeichen setzen würde, dass in diesem Land alle
Menschen, egal, ob „behindert“ oder nicht, reich oder arm, seit
Generationen „hiesig“ oder immigriert, Platz und die gleichen Rechte
und Chancen haben. Wir sind alle anders.
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