Lesen und Schreiben gelten, so der Leiter des LOS Backnang, Dr. Matthias Beck, als die wichtigsten Kulturtechniken des Menschen. „Erst sie eröffnen ihm Zugang zu Bildung und damit Lebensperspektiven“. Das sieht auch die Großmutter des Romanhelden in Zelters „Die Würde des Lügens“ so: Sie möchte ihren Enkel gerne als hochbegabtes Kind betrachten, das sich nicht mehr „mit den anderen Analphabeten im Vorschulalter herumschlagen“ muss. Er lernt also die gesamten Schilder der Umgebung auswendig, die er dann der Großmutter mit größter Beflissenheit vorträgt – so als könnte er in der Tat lesen. Von Kapitel zu Kapitel steigern sich die Ausmaße immer absurder und himmelschreiender werdender Lügengeschichten, die man auch als Bildungslügengeschichten oder Lügenbildungsgeschichten bezeichnen könnte. Die Wahrheit würde die Großmutter nur unglücklich machen, also wird gelogen, bis sie mit der Welt einigermaßen versöhnt ist.
„Der Ministerpräsident“ dagegen ist ein politischer Roman, eine politische Satire. Die Hauptfigur erfährt, dass sie einen Autounfall hatte, und dabei einiges passiert sei, insbesondere in seinem Kopf und mit seinem Gedächtnis. Claus Urspring heiße er und er sei der Ministerpräsident seines Landes. Getrieben von Wahlkampfhelfern und politischen Beratern, weiß er doch seit seinem Unfall kaum mehr, wer er einmal war und was mit ihm eigentlich ist. Politik, so scheint es, ist nur noch leere Inszenierung und inhaltloser Schein.
Joachim Zelter, in Freiburg geboren, studierte und lehrte Literatur in Tübingen und Yale. Seit 1997 freier Schriftsteller. Autor der Romane »Briefe aus Amerika« (1998), »Die Würde des Lügens« (2000), »Die Lieb-Haberin« (2002), »Das Gesicht: Roman eines Schriftstellers« (2003), »Schule der Arbeitslosen« (2006), »How are you, Mister Angst?« (2008) und »Der Ministerpräsident« (2010) – nominiert für den Deutschen Buchpreis. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen – u.a. das Landesstipendium Baden-Württemberg und der Thaddäus-Troll-Preis. Überdies Hörspiele und Theaterstücke, die an zahlreichen deutschen Bühnen gespielt werden.