„Merry Christmas“ in Gebärdensprache – und der Engländer versteht den Amerikaner nicht

Der Vergleich internationaler Gebärdensprachen
bringt erstaunliche Abweichungen von der gesprochenen Sprache hervor.
Und Deutschland hinkt hinterher, wenn es um die Behandlung tauber
Menschen geht. Brasilien zum Beispiel ist ein ganzes Stück weiter.

Gebärdensprach-Avatare auf Monitoren an Flughäfen. Die
Möglichkeit, im ganzen Land in Gebärdensprache sein Abitur zu machen.
Eine steigende Zahl nicht-gehörloser Menschen, die der
Gebärdensprache mächtig sind: Das ist Alltag in Brasilien. „Das liegt
am anderen Umgang mit tauben Menschen“, sagt Liona Paulus in
Gebärdensprache. Sie ist selbst taub, unterrichtet an der Hochschule
Fresenius im Masterstudiengang Gebärdensprachdolmetschen und
vergleicht in ihrer Dissertation die Deutsche mit der Brasilianischen
Gebärdensprache. „In Deutschland werde ich als “behindert“
eingestuft, in Brasilien gehöre ich einer sprachlichen Minderheit an.
Dieser Unterschied macht sich an vielen Stellen bemerkbar.“ Erstmals
war Paulus vor 13 Jahren in Brasilien, sie leistete
Freiwilligendienst in einer Gehörlosenschule. Diese Auszeit nach dem
Abitur war wichtig für sie, in Deutschland konnte sie nicht in
Gebärdensprache unterrichtet werden. „Die Schulzeit war aufgrund des
permanenten Lippenlesens und zeitraubender Kompensationsstrategien
bei der Informationsgewinnung sehr anstrengend.“

Die brasilianische Gebärdensprache Libras hat sie relativ schnell
gelernt. Emotionale Ausdrücke und viele grammatikalische Formen sind
denen in der Deutschen Gebärdensprache DGS ähnlich. Rund 200
Gebärdensprachen gibt es weltweit, 60 von ihnen sind erforscht und
mehr oder weniger dokumentiert. Die nähere Begutachtung bringt
Erstaunliches hervor: Ein tauber Amerikaner und ein tauber Brite
verstehen sich unter Verwendung ihrer Gebärdensprachen gar nicht gut.
Die American Sign Language (ASL) hat wesentlich mehr Gemeinsamkeiten
mit der Französischen Gebärdensprache (LSF). Das liegt daran, dass
die LSF im 18. Jahrhundert von Frankreich nach Amerika gekommen ist,
die Britische Gebärdensprache aber eine lokale Sprache geblieben ist.

Eine vitale und oft spontan entstehende Kommunikationsform ist die
„International Sign“, ähnlich einer Pidgin-Sprache. Hier ist
Voraussetzung, dass die Gesprächspartner keine gemeinsame
Gebärdensprache haben. Sie wird bei allen möglichen Gelegenheiten
verwendet und weiterentwickelt, bei internationalen Konferenzen, den
Deaflympics – Sommer- und Winterspiele für taube Menschen – , Kunst-
oder Theaterfestivals von und für Gebärdensprachler. Das Ergebnis ist
verblüffend: Ein tauber Deutscher ist in der Lage, sich binnen
weniger Stunden oder Tage mit einem tauben Chinesen nicht nur zu
verständigen, sondern sogar zu komplexen Themen wie Politik, Gefühlen
und Humor auszutauschen – unter Sprechenden undenkbar. „Das ist auch
ein Grund dafür, warum taube Menschen sehr reisefreudig sind und
unterwegs schnell Anschluss finden“, berichtet Paulus.

In der Bundesrepublik sind Menschen, die die Gebärdensprache
beherrschen und dolmetschen können, stark nachgefragt: „Auf 200.000
Nutzer der deutschen Gebärdensprache kommen nur 850 Dolmetscher“, so
Paulus. „Wer zusätzlich noch der ASL, BSL, LSF oder International
Sign mächtig ist, erhöht seine Karrierechancen, das wiederum ist
genauso wie bei der gesprochenen Sprache.“

Ein ausführliches Interview mit Liona Paulus zum Thema
internationale Gebärdensprachen ist auf dem Wissenschaftsblog
adhibeo.de veröffentlicht, unter http://bit.ly/2jcuvTk .

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Alexander Pradka
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